DISKUSSION
Das Lesch-Nyhan-Syndrom ist eine extrem seltene Störung, die bei den Betroffenen zu lähmenden motorischen und kognitiven Problemen, Hyperurikämie und dem Drang führt, sich selbst durch selbstverletzendes Verhalten zu verletzen. Obwohl sie normal geboren werden, entwickelt der Säugling extrapyramidale Anzeichen (Chorea, Dystonie), und die Anzeichen des pyramidalen Trakts (Hyperreflexie, anhaltender Knöchelklonus, positives Babinski-Zeichen, Scherenbildung) werden in der Regel mit 8 bis 12 Monaten deutlich. Nyhan hat festgestellt, dass das LNS neben der Phenylketonurie die zweithäufigste angeborene Stoffwechselstörung ist.7 Das Syndrom wird durch einen vollständigen oder teilweisen Mangel an HPRT-Aktivität verursacht. Der bei den Betroffenen festgestellte HPRT-Mangel steht in engem Zusammenhang mit hohen Harnsäurekonzentrationen im Urin und erhöhten Serumharnsäurespiegeln. Die Diagnose von LNS erfolgt hauptsächlich klinisch und durch Bestimmung des Serumharnsäurespiegels. Ein Test auf das HPRT-Enzym im Erythrozytenlysat oder der Nachweis von Mosaizismus in Hautfibroblasten kann die Diagnose oder den Trägerstatus bestätigen, aber die schlechte Verfügbarkeit und die hohen Kosten schränken ihre Verwendung in der klinischen Praxis häufig ein.8 Eine pränatale Diagnose ist durch Amniozentese oder Chorionzottenentnahme möglich. Darüber hinaus kann diese Störung mit Defiziten der dopaminergen Aktivität in den Basalganglien einhergehen, da das Basalganglion an der willkürlichen motorischen Kontrolle, dem prozeduralen Lernen, den Augenbewegungen und den genitalen emotionalen Funktionen beteiligt ist.9 Der Dopaminspiegel bei Lesch-Nyhan-Patienten scheint um 60 bis 80 % reduziert zu sein. Bei Erwachsenen führt ein tiefgreifender Verlust von Dopamin im Striatum häufig zu Parkinsonismus, bei Kindern jedoch meist zu Dystonie, d. h. anhaltenden Muskelkontraktionen, die Verdrehungen oder sich wiederholende Bewegungen verursachen, was bei Lesch-Nyhan-Patienten häufig vorkommt.4 Serotonin, ebenfalls ein Neurotransmitter, wird nachweislich durch die Dopaminfreisetzung in präsynaptischen Kanälen reguliert, und ein Mangel an Serotonin führt zu einer hochfrequenten Stimulation, die bei Lesch-Nyhan-Patienten zu beobachten ist.10
Eines der auffälligsten Merkmale des LNS ist selbstverletzendes Verhalten. Das zwanghafte selbstverletzende Verhalten tritt nur bei Patienten mit einem vollständigen Enzymdefekt (HPRT) auf, und einige zeigen nie autodestruktives Verhalten. Das selbstverletzende Verhalten beginnt in der Regel mit Selbstbeißen im Alter von 1 Jahr oder kann sich bis ins Teenageralter verzögern, was zum Verlust von Gewebe an verschiedenen Stellen des Körpers führt. Das selbstverletzende Verhalten hört nicht bei ihnen selbst auf. Es ist bekannt, dass Betroffene des Lesch-Nyhan-Syndroms ihre Ärzte schlagen,7 ihre Freunde schlagen und sogar ihre Rollstühle mitten in den Verkehr rollen, während sie die Autos anschreien, sie nicht anzufahren, weil das LNS sie dazu zwingt.4 Aus zahnmedizinischer Sicht kann die Selbstverstümmelung zu einer massiven Zerstörung der Unterlippe und in geringerem Maße der Oberlippe führen, wie im vorliegenden Fall. Der Patient benutzte seine Zähne und Finger, um sich selbst zu verstümmeln. Die Finger sind oft stark zerkaut, manchmal bis auf den Knochen. Die Betroffenen können auch die Finger benutzen, um sich selbst zu verstümmeln. Das Beißmuster kann asymmetrisch sein, wobei die linke oder rechte Körperhälfte bevorzugt verstümmelt wird.11 Die Verstümmelung ist nicht auf mangelndes Empfinden zurückzuführen, sondern eher ein zwanghaftes Verhalten, wobei das Kind Schmerzen empfindet, die denen anderer normaler Kinder ähneln. Ein Geschwür, Narben und fehlendes Gewebe auf der mittleren und seitlichen Seite der Unterlippe wurden im vorliegenden Fall am Tag der Ankunft des Patienten in unserer Abteilung festgestellt. Es wurden keine Anzeichen einer Vernarbung der Zunge festgestellt, da der Patient nicht auf die Zunge zu beißen schien. Jeder Gegenstand, der in den Mund eingeführt wurde, wurde auch unwillkürlich gebissen.
In der Literatur sind verschiedene Behandlungsmodalitäten zur Verhinderung des orofazialen Verstümmelungsverhaltens geplant worden. Die Extraktion entweder der primären Schneide- oder Eckzähne oder aller primären Zähne wurde als zufriedenstellende Lösung bei jungen Patienten befürwortet, aber das Problem des späteren Wiederauftretens des Lippenbeißens mit dem Durchbruch des bleibenden Gebisses muss dann angegangen werden.12 Es wurden auch verschiedene intraorale Hilfsmittel entwickelt, wie z. B. posteriore Schienen zur Schaffung eines offenen Frontzahnbisses, weiche, wärmegeformte Schienen, Lippenpuffer und Mundschützer, die jedoch nur begrenzten Erfolg hatten.13,14 Wenn die oben erwähnte Behandlung mit Hilfsmitteln fehlschlägt, bleibt die Extraktion der Frontzähne eine wirksame Behandlungsmethode, um die Auswirkungen der Selbstverstümmelung zu verhindern. Es wurde versucht, die Selbstverstümmelung von Händen, Zunge und Lippen mit wiederholten Botulinumtoxin-A-Injektionen in die beidseitigen Kaumuskeln zu behandeln, was sowohl auf das zentrale als auch auf das periphere Nervensystem einwirkt und bei LNS-Patienten zu einer Verringerung des selbstverletzenden Verhaltens führt.15 Die Behandlung mit Gabapentin hat sich bei der Kontrolle neuropsychiatrischer Symptome als nützlicher erwiesen als Carbamazepin oder Natriumvalporate.16