Deutschland lässt alte Dörfer für Kohle abbaggern, obwohl die Emissionsziele niedriger sind

Der Kohlebergbau und das Kraftwerk Garzweiler in der Nähe der Stadt Grevenbroich in Westdeutschland. Die geplante Erweiterung eines Braunkohletagebaus in der ostdeutschen Gemeinde Pödelwitz hat Proteste ausgelöst. Martin Meissner/AP hide caption

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Der Braunkohletagebau und das Kraftwerk Garzweiler nahe der Stadt Grevenbroich in Westdeutschland. Die geplante Erweiterung eines Braunkohletagebaus in der ostdeutschen Gemeinde Pödelwitz hat Proteste ausgelöst.

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Aktualisiert um 4:12 p.m. ET

Deutschland genießt den Ruf eines Vorreiters für saubere Energie. Seine Regierungschefin Angela Merkel wurde sogar als „Klimakanzlerin“ tituliert, als sie 2011 den Ausstieg aus der Atomenergie beschloss. Doch die Realität ist viel schmutziger.

Im ganzen Land werden jahrhundertealte Dörfer abgerissen, um Platz für den Abbau von Braunkohle zu schaffen – einem der schmutzigsten und billigsten fossilen Energieträger. Als weltgrößter Braunkohleförderer läuft Deutschland Gefahr, seine Kohlenstoffemissionsziele für 2020 zu verfehlen.

Das jüngste von der Zerstörung bedrohte ländliche Idyll ist das mittelalterliche Dorf Pödelwitz im östlichen Bundesland Sachsen. Die malerischen Fachwerkhäuser stehen leer und von den 200 Dorfbewohnern sind nur noch 27 übrig, weil das Bergbauunternehmen MIBRAG die darunter liegende Kohle abbauen will.

Elke Konrad, 62, wohnt in einem Nachbardorf und kennt Pödelwitz schon ihr ganzes Leben lang. „Es ist so schade“, beklagt sie. „Der Charakter und der Charme des Ortes sind weg. Es ist nichts mehr da.“

Die MIBRAG sagt, dass 90 Prozent der Einwohner von Pödelwitz zugestimmt haben, ihr Eigentum zu verkaufen und umzuziehen. Das Unternehmen räumt ein, dass die Umsiedlung von Gemeinden schwierig ist, sagt aber, dass sie „letztendlich eine neue Chance für die Betroffenen sein kann.“

Aber in den letzten Tagen haben Hunderte von Demonstranten ihre Zelte auf der Wiese vor der Pödelwitzer Kirche aufgeschlagen. Sie haben bereits gesehen, wie Dörfer in Rheinland-Pfalz und Brandenburg geräumt wurden, aber sie hoffen, diesen 800 Jahre alten Weiler zu retten.

Im Januar zündeten Greenpeace-Aktivisten ein Kampagnenbanner an, um gegen den Kohleabbau zu protestieren, als eine Kirche in dem deutschen Dorf Immerath in Rheinland-Pfalz abgerissen werden sollte, um Platz für den Braunkohleabbau zu schaffen. Wolfgang Rattay/Reuters hide caption

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Im Januar, Greenpeace-Aktivisten zündeten ein Kampagnenbanner an, um gegen den Kohleabbau zu protestieren, als im rheinland-pfälzischen Immerath eine Kirche zum Abriss freigegeben wurde, um Platz für den Braunkohleabbau zu schaffen.

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Christopher Laumanns aus der Stadt Leipzig ist einer der Klimaaktivisten, die in Pödelwitz campieren. Er sagt, dass seit Merkels Entscheidung zum Atomausstieg 3.000 Menschen in Deutschland wegen des Abbaus von Braunkohle – so der Fachbegriff – vertrieben wurden und weitere 2.500 vom Verlust ihrer Häuser bedroht sind.

„Deutschland muss aufwachen und die Menschen müssen sehen, dass es nicht die grüne Ikone ist, als die es oft dargestellt wird“, fordert Laumanns.

Braunkohle ist eine minderwertige, wassergesättigte Form der Kohle, die in großen, flachen, offenen Gruben abgebaut wird. Sie gilt als die schmutzigste aller Kohlen, weil sie ineffizient ist. Greenpeace warnt, dass bei der Verbrennung von Braunkohle für die gleiche Energiemenge, die aus hochwertiger Anthrazitkohle (Steinkohle) gewonnen wird, zwei- bis viermal so viel CO2 in die Atmosphäre gelangt.

Deutschland verwendet Braunkohle vor allem für die Stromerzeugung und die chemische Industrie.

Im vergangenen Jahr wurden nach Angaben des Wirtschaftsministeriums 37 Prozent des deutschen Stroms aus Kohle und davon 23 Prozent aus Braunkohle erzeugt. Das untergräbt die Fortschritte, die das Land beim Ausbau der sauberen, erneuerbaren Energieerzeugung gemacht hat. Nach Angaben der Brüsseler Denkfabrik für Klimapolitik Sandbag gehören sieben deutsche Braunkohlekraftwerke zu den zehn größten Umweltverschmutzern in Europa. Und dennoch will Deutschland seine Kohlenstoffemissionen bis 2020 um 40 Prozent unter das Niveau von 1990 senken. Laumanns sagt, dass Deutschland bei einem so hohen Braunkohleverbrauch Schwierigkeiten haben wird, sowohl dieses Ziel als auch das für 2030 angestrebte Ziel einer 55-prozentigen Reduzierung zu erreichen.

„Dieses Land investiert viel Geld in die Energiewende, aber es reduziert seine CO2-Emissionen nicht wirklich“, sagt Laumanns.

Der örtliche Landwirt Jens Hausner ist entschlossen, in Pödelwitz zu bleiben. Er sagt, er sei optimistisch, dass die Protestbewegung das Bergwerk davon abhalten wird, das Dorf zu zerstören. Esme Nicholson/NPR hide caption

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Der örtliche Landwirt Jens Hausner ist entschlossen, in Pödelwitz zu bleiben. Er sagt, er sei optimistisch, dass die Protestbewegung das Bergwerk davon abhalten wird, das Dorf zu zerstören.

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Die Ironie ist dem örtlichen Bauern Jens Hausner nicht entgangen. Von seinem Hof aus kann man das Kohlekraftwerk sehen, das seine Existenz bedroht, aber man kann auch Windräder am Horizont sehen. Er sagt, der Kontrast sei eine treffende Analogie für die verworrene Klimapolitik des Landes.

„In Berlin wird über den Kohleausstieg geredet, aber hier in Sachsen wird die Kohle hochgefahren, als ob es kein Thema wäre“, klagt Hausner.

Eine neu gegründete Kohlekommission – eine Gruppe von Experten, Industrievertretern und Umweltschützern – hat bis Ende des Jahres Zeit, einen Plan für den Kohleausstieg vorzulegen.

Stefan Kapferer, der Chef der größten deutschen Energiewirtschaftslobby, zu der auch Kohleunternehmen gehören, sitzt in der Kommission. Er sagt, dass es für einen Industrieriesen wie Deutschland, die führende Volkswirtschaft der Europäischen Union, weitere 20 Jahre dauern könnte, um die Kohlenutzung einzustellen.

Demonstranten hängen Schilder gegen den Abbau von Braunkohle in dem Dorf Pödelwitz auf. Esme Nicholson/NPR hide caption

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Demonstranten hängen Schilder gegen den Abbau von Braunkohle im Dorf Pödelwitz auf.

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„Die Kohlekraftwerke gehören Unternehmen, die Eigentumsrechte haben“, sagt er. „

Er fügt hinzu: „Wir müssen sicherstellen, dass unsere Chemie-, Stahl- und Aluminiumindustrie Zugang zu der von ihr benötigten Elektrizität hat und sich diese auch leisten kann.“

Rebecca Bertram, leitende politische Beraterin bei der Heinrich-Böll-Stiftung – einem Think Tank der deutschen Grünen – stimmt zu, dass die Abkehr von der Braunkohle keine leichte Aufgabe ist. Sie sagt, der Braunkohlesektor beschäftige zwar nur 20.000 Menschen, biete aber Arbeitsplätze in Regionen, in denen es kaum andere industrielle Arbeit gebe, und deshalb würden die Bergleute um ihre Arbeitsplätze kämpfen.

„Das Problem bei der Kohle ist, dass sie so lokal begrenzt ist und dass sie gewerkschaftlich sehr gut organisiert ist“, sagt Bertram. „Anders als in den Vereinigten Staaten sind unsere Gewerkschaften sehr stark und müssen immer Teil der Diskussionen sein.“

Klimaschützer diskutieren darüber, wie das Dorf Pödelwitz in Sachsen vor dem Abriss bewahrt werden kann, um einem Braunkohlebergwerk Platz zu machen. Esme Nicholson/NPR hide caption

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Klimaschutzdemonstranten diskutieren darüber, wie das Dorf Pödelwitz in Sachsen vor dem Abriss bewahrt werden kann, um Platz für ein Braunkohlebergwerk zu schaffen.

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Aber zurück in Pödelwitz, am Rande des Dorfes, vor den Toren des Kohlewerks, ist Thomas Güter anderer Meinung. Güter ist Bergmann und fühlt sich trotz seiner Gewerkschaftszugehörigkeit benachteiligt.

„Das ist so, so ungerecht“, schimpft Güter. „Niemand redet über die Vorteile der Braunkohle, die wirtschaftliche Bedeutung für die Region und die Energiesicherheit, die sie bietet.“

Güter ist Bergmann in vierter Generation. Er hat nie etwas anderes gekannt. Er sagt, dass es in dieser Region keine anderen anständigen manuellen Arbeitsplätze gibt.

Aber vielleicht muss er sich keine Sorgen machen. Wenn Deutschland den Ausstieg aus der schmutzigen Kohle weiter hinauszögert, wird der 52-jährige Güter wahrscheinlich bis zur Rente in der Grube arbeiten.