Lektin

V Lektine (Hämagglutinine)

Lektine sind eine recht bemerkenswerte Gruppe von Proteinen und Glykoproteinen, die die Fähigkeit besitzen, bestimmte Kohlenhydrate zu binden. Wenn diese Kohlenhydrate Bestandteile von Zellwänden sind, verursachen Lektine die Agglutination der Zellen, die sie enthalten. Die Fähigkeit von Lektinen, rote Blutkörperchen zu agglutinieren, wird als Grundlage für die Bestimmung von Blutgruppen verwendet. Wenn Lektine an Kohlenhydratbestandteile von Darmepithelzellen binden, kann dies zu einer verminderten Aufnahme von Nährstoffen aus dem Verdauungstrakt führen.

Lektine sind in der Natur weit verbreitet. Extrakte aus über 800 Pflanzenarten und aus zahlreichen Tierarten weisen eine agglutinierende Aktivität auf. Von besonderem Interesse sind dabei die Lektine, die in verschiedenen Hülsenfrüchten vorkommen, die als Futter- oder Nahrungsquelle verwendet werden. Lektinaktivität wurde in einer Vielzahl von Hülsenfrüchten nachgewiesen, die als Nahrungsmittel verwendet werden, wie z.B. schwarze Bohnen, Sojabohnen, Limabohnen, Kidneybohnen, Erbsen und Linsen.

Obwohl Lektine eine Gruppe von Substanzen sind, die aufgrund ihrer Fähigkeit, rote Blutkörperchen zu verklumpen, bekannt sind, sind einige dieser Substanzen auch hochgradig toxisch für Tiere. So führen beispielsweise aus schwarzen Bohnen isolierte Lektine zu einer Wachstumsverzögerung, wenn sie in einer Menge von 0,5 % der Nahrung an Ratten verfüttert werden, und Lektin aus Kidneybohnen führt bei Ratten, die zwei Wochen lang mit 0,5 % Lektin gefüttert werden, zum Tod. Sojalektin, ein weniger toxisches Lektin, das in einer Dosierung von 1 % der Nahrung an Ratten verfüttert wird, führt nur zu einer Wachstumsverzögerung. Die LD50 von Sojalektin wird auf 50 mg/kg geschätzt. Rizin, ein Lektin aus der Rizinusbohne, ist eine der giftigsten natürlichen Substanzen mit einer LD50 von 0,05 mg/kg. Wegen ihrer hohen Toxizität müssen Rizinusbohnen (keine Hülsenfrucht) gründlich erhitzt werden, um ihr Ricin zu deaktivieren, bevor sie als Tierfutter verwendet werden können.

Die genaue Rolle der Lektine bei den nährstoffschädigenden oder toxischen Wirkungen verschiedener Bohnen und Hülsenfrüchte ist Gegenstand einer Kontroverse und scheint von der jeweiligen Hülsenfrucht abzuhängen. Ungekochte Bohnen als Hauptbestandteil der Ernährung sind im Allgemeinen nicht förderlich für das Wachstum von Tieren. Gründlich erhitzte Bohnen sind jedoch wachstumsfördernd. Wenn die Lektinfraktionen von schwarzen Bohnen und Kidneybohnen zusammen mit dem erhitzten Bohnenmaterial an Tiere verfüttert werden, treten toxische Symptome auf. Bei Sojabohnen ist etwa die Hälfte der durch rohes Sojamehl verursachten Wachstumsdepression auf das Lektin zurückzuführen. Darüber hinaus wird bei Sojaschrot, dem die Lektinkomponente entzogen wurde, nur eine geringe Verbesserung der Nährstoffqualität festgestellt. Somit scheinen neben den Lektinen auch andere Substanzen wie z.B. Hemmstoffe von Verdauungsenzymen zu den wachstumshemmenden Wirkungen von rohen Bohnen beizutragen.

Der Mechanismus, durch den Lektine letztendlich eine toxische Wirkung erzeugen, ist ebenfalls umstritten. Es ist bekannt, dass Lektine aus verschiedenen Quellen, die sich auf dem Darmepithel befinden, Nährstoffe adsorbieren und so die Aufnahme dieser Nährstoffe durch den Darm verringern. Die daraus resultierende ineffiziente Nutzung der Nährstoffe kann an sich schon ein Grund für das schlechte Wachstum sein, das durch eine Ernährung mit vielen ungekochten Hülsenfrüchten gefördert wird. Dieser Effekt kann auch die Eiweißverluste verstärken, die durch die Hypersekretion der Bauchspeicheldrüse aufgrund der ebenfalls in den Hülsenfrüchten enthaltenen Trypsininhibitoren entstehen (siehe unten). Aber auch die Mikroflora des Darms scheint eine Rolle bei der Leguminosen- und Lektin-induzierten Toxizität zu spielen. Keimfreie Vögel (d. h. Vögel ohne Darmbakterien), die als Testtiere verwendet werden, zeigen bei der Fütterung mit rohen Hülsenfrüchten oder isolierten Lektinen weniger Wachstumsdepressionen als konventionelle Vögel. So führt z. B. ein Futter, das rohes Bohnenmehl enthält, bei japanischen Wachteln zu einer hohen Sterblichkeit. Keimfreie Vögel zeigen jedoch unter genau den gleichen Versuchsbedingungen keine toxischen Wirkungen; diese Beobachtungen haben einige Forscher zu der Vermutung veranlasst, dass die Lektine das körpereigene Abwehrsystem gegen bakterielle Infektionen beeinträchtigen können, was zu einer verstärkten Neigung zur Invasion durch die Darm- und andere Bakterienflora führt.