Als die deutsche Armee im März 1938 in Österreich einmarschierte, wurde der deutsche Diktator Adolf Hitler von jubelnden Menschenmengen begrüßt, die selbst die größten Plätze in den österreichischen Großstädten füllten. In den Tagen vor dem deutschen Einmarsch hatte die autoritäre Regierung des österreichischen Korporationsstaates eine Volksabstimmung geplant, um ihre eigene Position und die österreichische Unabhängigkeit zu sichern. Der sich abzeichnende Erfolg der Bemühungen der österreichischen Regierung veranlasste Hitler, in Österreich einzumarschieren, um die Volksabstimmung zu verhindern. Im April 1938 initiierte die deutsche Regierung selbst eine Volksabstimmung, die die Unterstützung der Österreicher für das neue Regime und für den Anschluss ihres Landes an Deutschland dokumentieren sollte. Die Volksabstimmung im April wurde zu einem großen Erfolg für die Nazis: Mehr als 99 Prozent der Bevölkerung stimmten für den Anschluss. Warum änderten die Österreicher ihre Meinung im Laufe weniger Wochen? Wie reagierte die Bevölkerung im Allgemeinen auf das neue Regime? Wie fühlten sich die österreichischen Nationalsozialisten, die gegen den österreichischen Korporationsstaat gekämpft hatten, in einem von der NSDAP regierten Großdeutschland? In welcher Weise beeinflussten der wirtschaftliche Aufschwung, die politische Verfolgung und die Kriegsanstrengungen die Einstellung der Bevölkerung? Wie reagierten die Österreicherinnen und Österreicher auf den nationalsozialistischen Antisemitismus und die Verfolgung der Juden?
Evan Burr Bukey von der University of Arkansas, der eine Reihe von Werken über Österreich und den Nationalsozialismus veröffentlicht hat (u.a.: Hitler’s hometown: Linz, Austria, 1908-1945, Bloomington: Indiana University Press, 1986), behandelt diese Themen in seinem neuen Buch in drei Teilen. Der erste Teil befasst sich mit den Voraussetzungen der NS-Herrschaft in Österreich, die bis zum Deutschnationalismus in der Habsburgermonarchie und den Traditionen der NSDAP in Österreich sowie – in einem etwas weit hergeholten Bezug – zur Gegenreformation und zum Josephinismus zurückreichen. Bukey beschreibt die politische und wirtschaftliche Situation des 1934 gegründeten Ständestaates und den weit verbreiteten Antisemitismus, der nach dem Ersten Weltkrieg einen neuen Höhepunkt erreicht hatte und in den Jahren des Ständestaates nur teilweise eingedämmt worden war. Bukeys Interpretation des Anschlusses Österreichs an Deutschland folgt weitgehend der herrschenden Meinung. Wie bereits der letzte Bundeskanzler des unabhängigen Österreichs vor dem Zweiten Weltkrieg, Kurt Schuschnigg, betont hat, hatten 1938 weder die österreichische Regierung noch die Nazis eine Mehrheit der Bevölkerung hinter sich. Schätzungen zufolge waren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Bevölkerung in beiden Lagern vertreten, während die restlichen 35 bis 50 Prozent unentschlossen waren und zumeist bereit waren, die herrschende Regierung zu unterstützen, egal ob es sich um eine unabhängige österreichische oder eine Nazi-Regierung handelte. Obwohl es klar ist, dass das Ergebnis der Volksabstimmung im April aufgrund des Nazi-Terrors stark verzerrt war, scheint es wahrscheinlich, dass nach dem deutschen Einmarsch eine Mehrheit auch im Falle einer freien Volksabstimmung für den Anschluss gestimmt hätte.
Der Hauptteil des Buches behandelt die eineinhalb Jahre zwischen dem Anschluss Österreichs an Deutschland und dem Kriegsbeginn. Bukey beschreibt die Haltung der Bevölkerung in zwei ideologischen Lagern, der nationalsozialistischen Bevölkerung und der katholischen Kirche, sowie die Haltung der Arbeiterklasse und der bäuerlichen Bevölkerung. In diesen Kapiteln bietet der Autor einen differenzierten Blick auf die Machtverteilung innerhalb der NS-Partei, die Wahnvorstellungen bestimmter NS-Fraktionen, die taktischen Schachzüge des Episkopats, die Stimmung unter den österreichischen katholischen Aktivisten (denen es u.a. gelang, die größte Anti-Nazi-Demonstration in der Geschichte des Dritten Reiches zu veranstalten), die Reaktionen der Bevölkerung auf die NS-Arbeitspolitik, die eingeschränkte Erreichbarkeit der Landbevölkerung und vieles mehr. Ein Thema, das sich nicht auf einzelne Klassen oder ideologische Lager beschränkte, war der Antisemitismus und die Behandlung der jüdischen Bevölkerung. Die Verfolgung der Juden begann unmittelbar nach dem Anschluss und umfasste sowohl den Terror und die Vorbereitung großangelegter Enteignungen, die von Staatsbeamten organisiert wurden, als auch Übergriffe und demütigende Rituale, die von einfachen Menschen initiiert wurden.
Der dritte Teil von…