Gastbeitrag: Die irreversiblen Emissionen eines Permafrost-‚Kipppunkts‘ | Carbon Brief

In weiten Teilen der höheren Regionen der nördlichen Hemisphäre lagern Milliarden Tonnen Kohlenstoff im gefrorenen Boden.

Mit dem Anstieg der globalen Temperaturen steigt das Risiko, dass diese „Permafrostböden“ auftauen und ihren lange gespeicherten Kohlenstoff in die Atmosphäre freisetzen.

Abbrechendes Permafrosttauen ist einer der am häufigsten diskutierten „Kipppunkte“, die in einer sich erwärmenden Welt überschritten werden könnten. Forschungsergebnisse deuten jedoch darauf hin, dass dieses Tauwetter zwar bereits im Gange ist, aber durch eine Abschwächung des Klimawandels verlangsamt werden kann.

Kipppunkte

Dieser Artikel ist Teil einer einwöchigen Sonderserie über „Kipppunkte“, bei denen ein sich veränderndes Klima Teile des Erdsystems in einen abrupten oder unumkehrbaren Wandel stürzen könnte

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Was jedoch unumkehrbar ist, ist das Entweichen des Kohlenstoffs, der freigesetzt wurde – und wird -. Der aus dem Permafrost freigesetzte Kohlenstoff gelangt in die Atmosphäre und bleibt dort, was die globale Erwärmung verschärft.

Kurz gesagt, was in der Arktis passiert, bleibt nicht in der Arktis.

Permafrost und das globale Klima

Permafrost ist ein Boden, der mindestens zwei Jahre lang gefroren war. Seine Dicke reicht von weniger als einem Meter bis zu mehr als einem Kilometer. In der Regel befindet er sich unter einer „aktiven Schicht“, die jedes Jahr auftaut und wieder gefriert.

Durch die Erwärmung des Klimas ist dieser dauerhaft gefrorene Boden gefährdet. Wenn die Temperaturen steigen, taut der Permafrost auf – er schmilzt nicht.

Es gibt eine einfache Analogie: Vergleichen Sie, was mit einem Eiswürfel und einem gefrorenen Huhn passiert, wenn man sie aus dem Gefrierschrank nimmt. Bei Zimmertemperatur ist der Eiswürfel geschmolzen und hinterlässt eine kleine Wasserlache, während das Huhn aufgetaut ist und ein rohes Huhn zurückbleibt. Schließlich beginnt das Huhn zu verrotten.

Das ist genau das, was mit dem Permafrost passiert, wenn die Temperaturen steigen. Ein Viertel der Landmasse der nördlichen Hemisphäre ist von Permafrost bedeckt, der wie ein gigantischer Gefrierschrank der Erde wirkt und enorme Mengen an organischer Materie gefroren hält.

Globale Permafrostkarte, International Permafrost Association. Credit: Brown, J., O.J. Ferrians, Jr., J.A. Heginbottom, and E.S. Melnikov, eds. 1997. Zirkum-Arktische Karte der Permafrost- und Bodeneisbedingungen. Washington, DC: U.S. Geological Survey in Zusammenarbeit mit dem Circum-Pacific Council for Energy and Mineral Resources. Circum-Pacific Map Series CP-45, Maßstab 1:10.000.000, 1 Blatt.

Dieses organische Material umfasst die Überreste abgestorbener Pflanzen, Tiere und Mikroben, die sich im Boden angesammelt haben und vor Tausenden von Jahren zu Permafrost gefroren sind.

Permafrost mit alten Knochen (linkes Bild) und organischem Material (rechtes Bild) im Permafrosttunnel bei Fox, Alaska. Credit: C. Schädel

Die Temperaturen in der Arktis sind mehr als doppelt so schnell gestiegen wie der globale Durchschnitt. Dies hat vielerorts zum Auftauen des Permafrosts geführt und neu erwachte Mikroben veranlasst, das organische Material zu zersetzen und dabei CO2 oder Methan in die Atmosphäre freizusetzen.

Beide Gase sind Treibhausgase, aber Methan ist über ein Jahrhundert hinweg 28-36 mal stärker als CO2. Allerdings gibt es in der Atmosphäre mehr CO2 als Methan, und Methan wird in Zeiträumen von etwa einem Jahrzehnt zu CO2 oxidiert. Es ist also die Veränderung der atmosphärischen CO2-Konzentration, die für den langfristigen Klimawandel wirklich von Bedeutung ist.

Kohlenstofffreisetzung aus dem Permafrost

Welche Rolle wird also der Permafrost bei den künftigen Kohlenstoffemissionen spielen? Und gibt es einen Kipppunkt, der ein schnelles Auftauen auslösen könnte?

Wissenschaftler schätzen, dass im Permafrost etwa doppelt so viel Kohlenstoff gespeichert ist wie in der Atmosphäre zirkuliert. Das sind etwa 1460 bis 1600 Milliarden Tonnen Kohlenstoff.

Der größte Teil davon ist derzeit gefroren und konserviert, aber wenn auch nur ein kleiner Teil davon in die Atmosphäre freigesetzt würde, wären die Emissionen wahrscheinlich groß – möglicherweise in ähnlicher Größenordnung wie die Freisetzung von Kohlenstoff durch andere Umweltflüsse, z. B. die Entwaldung.

Dies wäre immer noch um eine Größenordnung geringer als die Emissionen aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe bis zum Ende dieses Jahrhunderts. Dennoch beschleunigt jedes zusätzliche Molekül CO2 oder Methan, das in die Atmosphäre gelangt, den Klimawandel und wirkt sich auf den gesamten Planeten und sein Klima aus.

Zusammenbrechender Permafrost mit großem Eisvolumen. Credit: A. Balser

Nach unserem derzeitigen Kenntnisstand ist die Freisetzung von Kohlenstoff aus dem Permafrost ein allmählicher und anhaltender Prozess, der der Atmosphäre kontinuierlich Kohlenstoff zuführt und damit die Erwärmung weiter verstärkt.

Wenn sich die organische Substanz im Permafrost erst einmal zersetzt und CO2 und Methan freisetzt, gibt es kein Zurück mehr. In diesem Sinne ist das Auftauen des Permafrosts unumkehrbar und erfüllt damit eine der Bedingungen für die Definition eines Kipppunkts.

Jüngste Forschungsergebnisse deuten jedoch darauf hin, dass sich das Auftauen des Permafrosts auch verlangsamen und möglicherweise stoppen ließe, wenn der Temperaturanstieg verlangsamt und gestoppt würde, wodurch weitere Emissionen begrenzt würden. Dies würde jedoch einige Zeit in Anspruch nehmen. Das Auftauen von Permafrostböden ist ein bisschen wie ein schwerer Güterzug – wenn er sich einmal in Bewegung gesetzt hat, kann er nicht sofort gestoppt werden. Und selbst wenn man ihn bremst, wird er noch eine Weile weiterrollen. Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass die Emissionen noch Jahrzehnte bis Jahrhunderte weitergehen könnten, selbst wenn sich das Tauen des Permafrosts verlangsamt hat.

Das deutet darauf hin, dass der Permafrost als Ganzes nicht in einen völlig neuen Zustand übergegangen sein wird – wie es bei einigen Kipppunkten der Fall ist, z. B. beim Abschmelzen des grönländischen Eisschilds. Folglich wäre es möglich, weitere Emissionen zu verhindern, wenn die globale Erwärmung gestoppt würde.

Allerdings ist das Auftauen des Permafrosts bereits an vielen Stellen in der Arktis zu beobachten. Und wie der jüngste Sonderbericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen (IPCC) über die Ozeane und die Kryosphäre hervorhebt, wird die Erwärmung in diesem Jahrhundert zu erheblichen Emissionen aus dem Permafrost führen:

„Bis zum Jahr 2100 wird die oberflächennahe Permafrostfläche um 2-66% für RCP2.6 und 30-99% für RCP8.5 abnehmen. Dadurch könnten 10 bis 100 Gigatonnen Kohlenstoff in Form von CO2 und Methan in die Atmosphäre freigesetzt werden (RCP8.5), was den Klimawandel beschleunigen könnte.“

Wie man die Freisetzung von Permafrostkohlenstoff mit Sicherheit abschätzen kann

Der letztendliche Beitrag des Permafrostkohlenstoffs zum Klimawandel hängt von einer Reihe von Faktoren ab: Wie viel des Kohlenstoffs wird beispielsweise als CO2 oder Methan freigesetzt, und inwieweit können Pflanzen und Bäume einen Teil der zusätzlichen Kohlenstofffreisetzung ausgleichen.

Die Degradation des Permafrosts kann als allmähliches Auftauen von oben nach unten oder als abrupter Zusammenbruch des auftauenden Bodens erfolgen. Bei beiden Prozessen wird Kohlenstoff an die Atmosphäre abgegeben. Allmähliches Tauen von oben nach unten ist das Ergebnis wärmerer Lufttemperaturen, die den Boden von oben nach unten auftauen lassen, während abruptes Tauen plötzlich und unvorhersehbar auftritt.

Permafrost kann bis zu 80 % Eis enthalten. Wenn das Eis schmilzt – denken Sie daran, dass das Eis schmilzt, auch wenn der Boden nicht schmilzt -, bricht der Boden plötzlich zusammen und tiefe Schichten werden der Lufttemperatur ausgesetzt.

Einbrechender Boden kann die Landschaft mit „Thermokarst“-Seen übersäen, die mit Schmelzwasser, Regen und Schnee gefüllt sind. Diese feuchten Bedingungen können die Freisetzung des stärkeren Treibhausgases Methan fördern.

Thermokarstlandschaft. Credit: A. Balser

Im Hochland schafft die natürliche Entwässerung nach dem Auftauen des Permafrosts trockenere Bodenbedingungen, wodurch die Zersetzung der organischen Substanz beschleunigt und große Mengen an CO2 freigesetzt werden. Die endgültige Auswirkung der Kohlenstofffreisetzung aus dem Permafrost wird stärker sein, wenn ein größerer Anteil der Permafrostzone nach dem Auftauen austrocknet.

Welcher Anteil der Landschaft nach dem Tauwetter feuchter oder trockener wird, hängt von der Verteilung des Bodeneises ab, aber die derzeitigen Eismessungen sind nur sporadisch und eine bessere räumliche Abdeckung und aktuellere Messungen sind dringend erforderlich.

Ein weiterer wichtiger Faktor für die Kohlenstoffbilanz der Permafrostzone ist die Kohlenstoffaufnahme durch Pflanzen. Die Frage ist, wie viel Kohlenstofffreisetzung durch auftauenden Permafrost durch vermehrtes Pflanzenwachstum ausgeglichen werden kann. Pflanzen nehmen Kohlenstoff aus der Atmosphäre auf und verwenden ihn zum Wachstum und zur Aufrechterhaltung ihres Stoffwechsels.

Wärmere Bedingungen in der Arktis und alle damit verbundenen Veränderungen regen das Pflanzenwachstum an, was bedeutet, dass ein Teil des Kohlenstoffs, der durch das Auftauen des Permafrosts in die Atmosphäre gelangt, durch die Förderung des Pflanzenwachstums aufgenommen wird. Es ist jedoch unklar, wie viel Kohlenstoff von den Pflanzen kompensiert wird und wie nachhaltig dieser Prozess ist.

Die Verbesserung der Modellprojektionen für die Freisetzung von Kohlenstoff aus dem Permafrost ist entscheidend für die Bestimmung der Gesamtauswirkungen des auftauenden Permafrosts auf das globale Klima. Jüngste Ergebnisse aus der kanadischen Arktis zeigen, dass das Auftauen des Permafrosts viel früher erfolgt, als die Wissenschaftler angesichts der aktuellen Modellprognosen erwartet hatten.

Momentan berücksichtigen die Modelle nur ein allmähliches Tauen von oben nach unten, aber jüngste Schätzungen zeigen, dass ein abruptes Tauen und ein Zusammenbrechen des Bodens die Kohlenstofffreisetzung aus dem Permafrost verdoppeln könnte. Eines ist klar: Je weniger die Temperaturen in der Arktis steigen, desto mehr Permafrost wird gefroren bleiben und desto mehr Kohlenstoff wird im Permafrost eingeschlossen bleiben.

Methanhydrate

Oft wird in einem Atemzug mit dem Auftauen des Permafrosts die potenzielle Gefahr genannt, die mit dem Abbau von Methanhydraten, auch „Clathrate“ genannt, verbunden ist. Dabei handelt es sich um Methan-„Eis“, das sich bei niedrigen Temperaturen und hohem Druck in marinen Sedimenten des Kontinentalrandes oder innerhalb und unterhalb des Permafrostes bildet.

Besonders besorgniserregend sind die Methanhydrate, die unter dem ostsibirischen arktischen Schelf (ESAS), einer flachen Küstenregion im Norden Russlands, lagern. Studien deuten darauf hin, dass auftauender Permafrost dieses Methan freisetzt und es aus dem Meerwasser aufsteigen lässt. Dies hat zu Untersuchungen geführt, die davor warnen, dass das Entweichen großer Mengen Methan „katastrophale Folgen für das Klimasystem“ haben könnte, und zu Medienberichten über eine drohende „Methan-Zeitbombe“.

Arktischer Ozean

2,000 km

Ostsibirischer

Arktischer Schelf

USA

Russland

Grafik: Carbon Brief. © Esri

Im Gespräch mit Dr. Carolyn Ruppel, der leitenden Wissenschaftlerin des Gashydratprojekts des US Geological Survey, erklärt sie mir, dass Methanhydrate etwa ein Sechstel des Methankohlenstoffs auf der Erde binden und dass einige Vorkommen im Zuge der Klimaerwärmung bereits abgebaut werden könnten. Aber, sagt sie:

„Wenn das beim Abbau von Gashydraten freigesetzte Methan den Ozean erreicht, würde es größtenteils von Bakterien in der Wassersäule verbraucht und nicht in die Atmosphäre gelangen. In Permafrostgebieten ist das sich zersetzende Gashydrat in der Regel tief vergraben, so dass das Auftauen des Permafrosts der wichtigere Faktor für die Treibhausgasemissionen ist.“

Während „aus den arktischen Kontinentalschelfen in Gebieten mit auftauendem unterseeischem Permafrost beträchtliches Methan austreten kann“, sagt Ruppel, „haben Studien gezeigt, dass die Flussraten wahrscheinlich überschätzt werden und die wahrscheinlichste Quelle des austretenden Methans nicht auftauende Gashydrate sind“. Sie fügt hinzu:

„Permafrost-assoziierte Hydrate sind nicht so weit verbreitet und liegen oft tiefer als die seichteren Methanquellen, die leichter in die Atmosphäre entweichen können.“

Die neuesten Forschungsergebnisse legen also nahe, dass eine Methanbombe aus auftauenden Hydraten nicht in Sicht ist. Für den Permafrost zeigt die Wissenschaft jedoch, dass das Tauen bereits im Gange ist und der freigesetzte Kohlenstoff bereits zu unserer Klimaerwärmung beiträgt.

Aktualisierung: Dieser Artikel wurde am 18.02.2020 aktualisiert, um die „Güterzug“-Analogie und zusätzliche Links zur Verlangsamung des Permafrost-Tauens hinzuzufügen.

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